Wolfgang Mischnick

Neubenennung einer Planstraße in „Wolfgang-Mischnick-Straße„

ANTRAG A0211/21

Gegenstand:

Neubenennung von Straßen, hier Benennung einer Planstraße im Baugebiet Alberstadt-Ost – Stauffenbergallee/Marienallee in „Wolfgang-Mischnick-Straße„

Beschlussvorschlag:

Der Stadtrat beauftragt den Oberbürgermeister, folgende Straße neu zu benennen: Planstraße 1 im Baugebiet Alberstadt-Ost – Stauffenbergallee/Marienallee (Bebauungsplan Nr. 392 Dresden-Neustadt Nr. 40) in Wolfgang-Mischnick-Straße.

Begründung:

Wolfgang Mischnick war gebürtiger Dresdner und Zeit seines Lebens seiner sächsischen Heimat sehr verbunden. Er lernte nach dem Zweiten Weltkrieg das politische Handwerk in Dresden kennen und er engagierte sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands ganz besonders in Sachsen. Über viele Jahre hatte er während der Zeit der deutschen Teilung den Vorsitz der FDP-Bundestagsfraktion inne. Am 29. September 2021 jährte sich sein 100. Geburtstag, am 6. Oktober 2022 jährt sich auch der 20. Todestag Mischnicks. Ab 1945 half er bei der Etablierung der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) in Dresden und Umgebung. Zwar wurde er 1946 noch zum Stadtverordneten Dresdens gewählt, bereits 1948 musste er aber aufgrund einer unmittelbar bevorstehenden Verhaftung durch die Sowjetische Militäradministration (SMA) in den Westteil Deutschlands fliehen. Dort begann sein Aufstieg in die Bundespolitik, schließlich war er von 1968 bis 1991 Fraktionsvorsitzender der FDP im Deutschen Bundestag und wurde damit deutschlandweit bekannt. Von da aus trug er seinen Teil zu einer klugen Außenpolitik in Bezug auf den deutschen Nachbarstaat, die DDR, bei. Denn er hoffte, dass sich die beiden deutschen Staaten eines Tages wieder zusammenschließen würden. Wolfgang Mischnick beteiligte sich maßgeblich an der Entspannungspolitik mit der DDR und dem Ostblock in der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt. Trotz der Teilung hielt Wolfgang Mischnick immer Kontakt in seine Heimat. Als es 1990 zur Wiedervereinigung kam, erfüllte sich für ihn gewissermaßen ein Traum, noch einmal politisch für seine Heimat aktiv zu werden und sich direkt vor Ort zu engagieren. Er trat in Dresden als Direktkandidat für den Bundestag an und konnte noch einige Jahre beim Wiederaufbau im Osten helfen. Speziell in Dresden setzte er sich für die Rekonstruktion der Frauenkirche oder des Nordbades ein, aber auch in der Karl-May-Stiftung in Radebeul war er aktiv oder als Aufsichtsrat bei den Gröditzer Stahlwerken, um diese zu erhalten. Wolfgang Mischnick wuchs in Dresden in der Neustadt auf dem Bischofsweg auf. In Dresden ging er ebenfalls zur Schule und ohne Prüfung wurde ihm sein Abitur im November des Jahres 1939 zuerkannt, denn zu diesem Zeitpunkt wurde er überraschend in die Wehrmacht einberufen. Zurück in Dresden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fand er Kontakt zur LDP und übernahm die Jugendarbeit innerhalb des Verbandes. Wenig später vertrat er die Partei auch im vorab gebildeten städtischen Jugendausschuss. Der Druck auf Mischnick stieg mit seinen Aktivitäten im Rahmen der LDP. Die Sowjetische Militäradministration begann seine Artikel im Sächsischen Tageblatt zu zensieren. Gleichzeitig prangerte er Übergriffe der SED zunehmend öffentlich an und erregte damit den Unmut bei den zuständigen SMA-Offizieren. Er hielt sich nicht immer an seine zugelassenen Redemanuskripte bei Versammlungen und musste auch hinnehmen, dass eine Veranstaltung mitten in einer Rede vom anwesenden Stadtteil-Kommandeur der SMA geschlossen wurde. Auch wurde er für Aktionen der liberalen Jugend verantwortlich gemacht, die diese selbständig ohne sein Zutun organisiert hatten. Bei den Kommunalwahlen am 1. September 1946 errang er ein Mandat als Dresdner Stadtverordneter. Damit war er einer von 28 Mandatsträgern der LDP in der Stadtverordnetenversammlung, die 80 Mitgliedern insgesamt umfasste. Mischnicks starke Einbindung in die Kommunalpolitik begann hier in Dresden. Es gelang der LDP-Stadtverordnetenfraktion den Erhalt der Ruine der Semperoper durchzusetzen, damit sie eines Tages wiederaufgebaut werden konnte. Dazu hatte er zusammen mit zwei weiteren LDP-Stadträten des Kulturausschusses die Gelegenheit, mit sowjetischen Offizieren zu diskutieren und sie von ihrem Ansinnen zu überzeugen. Die Gespräche dauerten eine ganze Nacht, bis es gelang, die Offiziere von der Erhaltung der Semperoper-Ruine zu überzeugen. Aber des Öfteren gab die LDP im Stadtparlament auch klein bei und wich Streitereien aus, genehmigte sogar gefälschte Stadtverordnetenprotokolle und musste sich zunehmend von der SED übervorteilen lassen. Der Protest Mischnicks und anderer LDP-Vertreter an diesen undemokratischen Verhältnissen führte nur zu weiteren persönlichen Auseinandersetzungen mit der SED oder der SMA. In ganz Sachsen untersuchte Mischnick auf Anweisung des LDP-Landesvorsitzenden Hermann Kastner daraufhin auch Fälle, in denen die SED gegen Absprachen in der Blockpolitik verstieß. Nach den Wahlen wurden beispielsweise zahlreiche Kandidaten, die keine SED-Mitglieder waren, nicht in ihren gewählten Ämtern zugelassen oder bei ihrer Amtsausübung behindert. Auf Wolfgang Mischnicks Schreibtisch häuften sich diese Fälle. Nur selten konnte er eine Korrektur beim Vorsitzenden des Blockausschusses und Landtagspräsidenten Otto Buchwitz (SED) durchsetzen. Mischnick musste auch mit ansehen, wie die politische Arbeit der LDP in der sowjetischen Besatzungszone immer gefährlicher wurde. Schon im Oktober 1947 wurden Parteifreunde verhaftet. Bei Wolfgang Mischnick versuchte man, die Ausübung seiner Amtsgeschäfte zu verhindern. Er erhielt schließlich ein Rede- und Schreibverbot und sollte deshalb jede öffentliche Tätigkeit einstellen. Erst wenn er sich zur FDJ bekennt und einem Amt außerhalb Sachsens zustimme, sollte das Verbot aufgehoben werden. Mischnick nahm weitere Restriktionen wie die Verhöre beim NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei, oder der SMA nicht mehr hin und entschied sich für eine Flucht nach West-Berlin, die er am 4. April 1948 mit seiner Sekretärin antrat. Vorerst wurde Mischnick in Frankfurt am Main sesshaft und meldete sich bei der hessischen FDP. Dies leitete über viele Stationen seinen Aufstieg in der westdeutschen FDP ein. Neben seinen Parteiämtern errang Mischnick auch eine Reihe von parlamentarischen Mandaten. Von 1957 an bis 1994 war er Mitglied des Bundestages, 1990 trat er für seine letzte Wahlperiode in seiner Heimat im Wahlkreis Dresden-Nord an und wurde über die Landesliste Sachsens in den Bundestag gewählt. Auch in der Bundesregierung und dem Bundestag übernahm er für seine Partei gewichtige Ämter, schon von 1961 bis 1963 war er Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 1963 übernahm er das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und von 1968 bis 1991 hatte er den Fraktionsvorsitz inne, danach wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Obwohl Wolfgang Mischnick 1948 aus Dresden fliehen musste, um seiner Verhaftung durch die Sowjetische Militäradministration aufgrund seines Kampfes für Freiheit und Demokratie zu entgehen, brach er nie den Kontakt in seine Heimatstadt ab. Als bundesdeutscher Politiker setzte er sich zunächst offensiv für die Realisierung einer Ostpolitik ein, da er das als Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit verstand. Er glaubte immer fest an die Einheit Deutschlands und sah im geteilten Deutschland keine zwei Staaten. Wolfgang Mischnick suchte immer wieder den Dialog mit den politisch Einflussreichen im Osten, über die Internationale Parlamentarier-Union, 1966 mit LDPD-Funktionären in Bad Homburg oder im direkten Gespräch mit Erich Honecker. 1969 legte er als erster einen Entwurf für einen Generalvertrag zwischen der BRD und der DDR vor. Entscheidend darin war, dass sich die beiden deutschen Staaten in ihrem Verhältnis zueinander nicht als Ausland abstempeln ließen. Mischnick beteiligte sich maßgeblich an dem richtungweisenden Deutschland-Programm, welches die FDP im Juni 1969 verabschiedete und welches die Arbeit der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt prägen sollte. Gemeinsam entwickelte man ein politisches Konzept, um die Entspannung mit dem Ostblock herbeizuführen und die DDR mit einzubeziehen. Die Ostpolitik der BRD beinhaltete die Anerkennung der DDR als Staat, die Einrichtung ständischer Vertretungen in beiden Teilen Deutschlands und die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches der BRD. Es folgte eine Serie von Ostverträgen mit der DDR und dem Ostblock, die die Beziehungen zueinander neu regelten. Die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition führte auch zur Unverletzlichkeit bestehender Grenzen und zur Festschreibung des Gewaltverzichtes. Besonders der Grundlagenvertrag mit der DDR hatte das Fernziel der Aufhebung der Deutschen Teilung. Wolfgang Mischnick, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und die FDP kämpften um die deutsche Einheit und taten ihren Teil zu einer klugen Außenpolitik in den 1970ern und 80ern bei. Mischnick behielt seine Heimat immer im Auge, bereits 1985 führte er in Dresden eine Fraktionssitzung der FDP-Bundestagsfraktion durch. Ebenfalls gab es 1989 eine wirtschaftspolitische Tagung der FDP-Bundestagsfraktion in Dresden. Als 1989 die Mauer fiel, konnte er jederzeit in seine alte Heimat zurückkehren und begann mit seinem rastlosen Engagement in Dresden und Sachsen. Obwohl er eigentlich nicht mehr für den Bundestag kandidieren wollte, entschied er sich noch einmal anders und trat als Direktkandidat für die FDP in Dresden an. Parallel zu seinem Mandat engagierte sich Wolfgang Mischnick in Dresden als Kuratoriumsmitglied der „Dussmann-Stiftung Ascholdinger Nachmittag“ zur Restaurierung von Kulturgütern und Baudenkmälern im Raum Dresden. Das bedeutete auch, dass er sich für die Restaurierung und Wiedererrichtung der Frauenkirche einsetzte. Über diese Stiftung regte er ebenfalls die Sanierung des Nordbades in Dresden an, welches er aus seiner Kindheit kannte. Das Nordbad konnte so 1997 neu eröffnet werden. Viele weitere Projekte wurden über die Dussmann-Stiftung finanziert, bspw. die Restauration der Grünanlage des Rathausparkes auf dem Weißen Hirsch sowie ein dort befindlicher Brunnen mit einer der alten Hygiea nachempfundenen Figur. Ebenso wurde das Mühlenwerk der Zschoner Mühle rekonstruiert. Viel weiteres Engagement zeigte Wolfgang Mischnick in Dresden, so bei der Mitbegründung der liberalen Wilhelm-Külz-Stiftung als Einrichtung zur politischen Bildung oder im Kuratorium der Technischen Universität Dresden. Als Wolfgang Mischnick 1990 nach Sachsen zurückkehrte, engagierte er sich nicht nur in Dresden, sondern unter anderem auch in Gröditz oder Radebeul. 1991 half er dabei, die Karl-MayStiftung aufzubauen, die das Erbe Karl Mays bewahren soll. Am 9. Mai 1992 fand die konstituierende Sitzung des Kuratoriums der Karl-May-Stiftung statt, auf der er zum Präsidenten des Kuratoriums gewählt wurde. Mit Hilfe der Dussmann-Stiftung konnte sich Wolfgang Mischnick ebenfalls noch für die Restaurierung des Grabmals von Klara und Karl May auf dem Friedhof Radebeul-Ost einsetzen. Auch in Gröditz setzte sich Wolfgang Mischnick nach der Wendezeit für die Erhaltung der Stahlwerke ein. Er wurde am 7. Oktober 1991 der Aufsichtsratsvorsitzende der Gröditzer Stahlwerke und blieb dies bis zu seinem Tod im Jahr 2002. Sein Ziel war es, den Stahlstandort Gröditz mit einer möglichst hohen Beschäftigung langfristig zu sichern. Erst nach langem Hin und Her und weil sich Wolfgang Mischnick in seinem Ziel zum Erhalt der Gröditzer Stahlwerke nicht beirren lies, gelang die Privatisierung. Somit war der Bestand des Stahlwerkes sichergestellt. Wolfgang Mischnick hatte ein parlamentarisch sehr aktives Leben und engagierte sich in der Deutschlandpolitik, für die Freiheit und für Demokratie, sowie nach der Friedlichen Revolution 1989/90 in seiner sächsischen Heimat. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass er im Dresdner Straßenbild mit einer Benennung geehrt wird. Dazu bietet sich eine der neu entstehenden Straßen im Baugebiet Alberstadt-Ost – Stauffenbergallee/Marienallee in der Dresdner Neustadt an. Die Neustadt, in der die Straße liegt, zählt nicht nur zu den Wirkungskreisen Wolfgang Mischnicks, hier wurde er auch geboren und hier wuchs er auf. Er stammte aus der Neustadt und kehrte auch während der deutschen Teilung immer wieder in sein Elternhaus zurück. Später zählte der Dresdner Norden mit der Neustadt zu seinem Wahlkreis zur Bundestagswahl 1990 und er setzte sich vehement für die Rekonstruktion des Nordbades in der Louisenstraße ein, welches nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht wiedererrichtet wurde. Für seine Leistung in der Kommunal- und vor allem der Bundespolitik – hier vor allem als Deutschlandpolitiker vor, während und nach der Wiedervereinigung – ist eine Ehrung im Stadtbild in dem Teil der Stadt, aus dem er herstammt, angebracht. Im Übrigen bietet es sich im Baugebiet Alberstadt-Ost – Stauffenbergallee/Marienallee mit seinen insgesamt sechs Planstraßen an, diese nach Dresdner Demokraten zu benennen, die besondere Lebensleistungen in der Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik vorzuweisen haben. Damit entsteht im Straßenbild Dresdens an diesem Ort ein Demokratieviertel, das in dieser Art und Weise einmalig in Sachsen sein dürfte. Mit einem Demokratieviertel an diesem Ort zeigt sich auch der gesellschaftliche und politische Wandel über nahezu 150 Jahre in der einst für das königliche Militär errichteten Albertstadt. Nach zwei Weltkriegen erleben wir inzwischen eine lange Phase von Demokratie und Frieden. Die heute in unmittelbarer Nähe gelegene Offizierschule des Heeres und der Bundeswehrstandort unterliegen der parlamentarischen Kontrolle und nur der Bundestag entscheidet über den Einsatzzweck der Armee. Die Entstehung eines Demokratieviertels in der Albertstadt manifestiert symbolisch den demokratischen Fortschritt des Landes.